Wie ein Kochbuch entsteht IV: Der Lektor und Setzer

Für das heutige Interview in meiner Serie zum „Making of“ von Seelenfutter vegetarisch* habe ich einen Knoten im Hirn riskiert. Ich versuche ja ohnehin Fragen zu stellen, die ich vermutlich hätte, wenn ich nicht schon seit zehn Jahren Kochbücher machen würde. Aber diesmal geht’s ums Lektorat, und das ist ganz, ganz häufig meine eigene Rolle in einem Buchprojekt – hieß also für mich: bei den Fragen zweimal um die Ecke denken. Um 180° gewissermaßen. Falls also Dinge übrig geblieben sind, die ich in meiner Betriebsblindheit zu fragen versäumt habe, dann hinterlasst doch einen Kommentar, ja?

Mit Martin Knipping, dem heutigen Interviewpartner, habe ich schon viele Buchprojekte zusammen gewuppt, meistens in der Rollenverteilung er – Setzer, ich – Lektorin. Wir sind inzwischen ein eingespieltes Team, und er ist der gründlichste und perfektionistischste Setzer, den ich kenne – gleichzeitig aber jemand, mit dem man sich auch über die Welt jenseits von Durchschüssen und Halbgeviertstrichen bestens unterhalten kann. Schon für den Vorgängerband Seelenfutter* hat Martin neben dem Satz nun auch das Lektorat übernommen. Und ich schwöre: Seinem scharfen Blick ist keine Unstimmigkeit oder Uneinheitlichkeit entgangen!

Im Kopf nachkochen

Worum geht es eigentlich beim Rezeptlektorat? Doch nicht nur um Rechtschreibung und Zeichensetzung, oder?

Ein Rezept muss vor allem funktionieren. Als Lektor muss man es im Kopf buchstäblich nachkochen. Mehrmals. Bis in jedes Detail. Vor allem darf in der Zutatenliste nichts fehlen, was benötigt wird, und umgekehrt darf nichts drinstehen, was dann übrig bleibt. Verlangt das Rezept etwas, das in der Liste fehlt, kann die schönste Kocherei in Frust und Ärger enden. Liste und Anleitung müssen so exakt aufgehen wie eine Gleichung, und die Reihenfolge muss identisch sein. Das klingt einfach, erfordert aber viel Disziplin und Konzentration. Und damit ist es noch nicht getan: Man muss aufpassen wie ein Schießhund, damit ja nichts irgendwo auf der Strecke bleibt, also halb verarbeitet an einem der vielen Stopps zwischen Einkaufskorb und Esstisch vergessen wird. Außerdem muss natürlich alles logisch und verständlich sein – Handgriff für Handgriff und alles in der richtigen Abfolge. Je nach Lebensmittel darf kein Schritt fehlen: Waschen, Putzen, Schälen, Trockentupfen, Zerkleinern, passendes Kochgefäß, richtige Temperatur, Garmethode, Garzeit, Umrühren, Warmhalten, Anrichten … Jeder Fehler kann ins kulinarische Aus führen.

Was bedeutet es eigentlich für das Lektorat, wenn zwei Autorinnen an dem Buch mitwirken? Worauf musstest du besonders achten?

Zwei Autorinnen schreiben in zwei Stilen, bauen auch ihre Sätze verschieden auf und machen verschiedene lange Absätze; aber das Buch soll sich lesen wie aus einem Guss. Also muss man je nach Kontext Wortwahl, Niveau und Duktus angleichen. Angleichen sollte man auch landschaftlich verschiedene Ausdrücke und Vorlieben. Aber vor allem ist Einheitlichkeit in Ausdrucks- und Schreibweise angesagt: Gegen die Begriffe Karotten und Möhren ist nichts einzuwenden, aber beliebiger Wechsel zwischen beiden wirkt natürlich verkehrt – spätestens im Register. Korrekte Grammatik, Rechtschreibung und Interpunktion erledigt man natürlich nebenbei mit, obwohl abschließend von dritter Seite Korrektur gelesen wird, wenn alle Beteiligten längst betriebsblind und von dem Projekt schon mehr als satt sind.

Gab es bei Seelenfutter vegetarisch Besonderheiten oder Herausforderungen für dich als Setzer?

Bei einem so durchgestalteten Layout muss man jede Seite und Doppelseite sorgfältig austarieren, damit die Ästhetik stimmt. Dazu gehört es, Texte zu kürzen oder zu längen, damit jeder Absatz oder Kasten das richtige optische Gewicht bekommt. Man muss sogar eingreifen, wenn nur die letzte Zeile im Absatz zu kurz ist, eine Trennung unschön wirkt oder der rechte Satzrand nicht hübsch genug flattert. Das Ganze soll bunt und lebendig wirken und trotzdem in einheitlicher Gestalt daherkommen. Aufwendig sind auch die Dekoration und die Farbgestaltung, die nicht kapitelweise, sondern Rezept für Rezept variiert.

Layout von Seelenfutter vegetarisch

Bekommt man nicht ständig Hunger, wenn man Rezepte bearbeitet?

Der nackte Text wirkt nicht unmittelbar sinnlich. Das Sprachzentrum im Gehirn ist wohl nicht sehr empfänglich für kulinarische Reize; bei der Textbearbeitung rührt sich also nicht viel in Sachen Speichelproduktion. Ganz anders, wenn die Bilder ins Satzdokument eingebaut sind: Knusprige Makrelen auf nüchternen Magen sind frühmorgens nicht jedermanns Sache. Umgekehrt kann um 19 Uhr ein Auflauf auf dem Monitor den Arbeitstag abrupt beenden und den Lektor in die Küche scheuchen.

Und was ist dein liebstes Seelenfutter-Gericht? Was kochst du dir gegen Bücher- und sonstigen Stress?

Als mein Lieblingsrezept hat sich Zitronenpasta mit „Lauchspaghetti“ herausgestellt. Ich bevorzuge einfache Rezepte: wenige Zutaten, nicht allzu viel Getue und irgendwie plausibel. Beides erfüllt das Rezept wunderbar, aber das fertige Gericht schmeckt und sieht aus, als wäre es ein italienischer Klassiker. Scharf, sauer, süß, sahnig, und dann noch Nudeln – mit einem Wort: vollmundig. Was will man mehr?

Leider habe ich weder Zitronen noch Lauch im Garten, und das Allerschönste ist doch immer wieder, etwas selbst Angebautes zu genießen. Jeden Mittag gibt es Salat, für den der Garten im Sommer einiges anbietet: Tomaten, Paprika, Peperoni, Karotten, Schnittlauch, Basilikum, Zucchini, Rucola … Abends landen oft Zucchini- und Kartoffelscheiben mit Zwiebelringen und Rosmarin oder Salbei auf dem Backblech; darauf ein Stück TK-Lachs.

Danke für dieses Interview, Martin!

Das sind die Folgen der Serie “Wie ein Kochbuch entsteht”:

4.11.14 Wie einKochbuch entsteht I: Die Redakteurin

11.11.14 Wie ein Kochbuch entsteht II: Autorin Susanne Bodensteiner

14.11.14 Wie ein Kochbuch entsteht III: Mein persönliches Making of

18.11.14 Wie ein Kochbuch entsteht IV: Der Lektor und Setzer

25.11.14 Wie ein Kochbuch entsteht V: Das Fototeam

2.12.14 Wie ein Kochbuch entsteht VI: Die Herstellerin

 

2 Gedanken zu “Wie ein Kochbuch entsteht IV: Der Lektor und Setzer

  1. Andre Zaenker

    Wenn ich hier so lese, wie bei einem Kochbuch jeder Schritt „Handgriff für Handgriff“ immer wieder geprüft wird, denn es darf „kein Schritt fehlen“ und alles muss „logisch und verständlich sein“, dann stellt sich mir eine Frage. Warum gestalten Kochbuch-Produzenten nicht auch Gebrauchsanweisungen? Wäre das nicht mal eine Geschäftsidee für einen Verlag?
    Mit wie vielen unverständlichen Gebrauchsanweisungen musste ich mich in meinem Leben schon herumschlagen? Wieviel wirtschaftlichen Schaden und familiären Streit richten schlechte Gebrauchsanweisungen jedes Jahr wohl an?
    Warum gibt es für Gebrauchsanweisungen keinen TÜV? Dann wären die Hersteller gezwungen, deren Gestaltung in kompetente Hände zu geben. Vielleicht ja auch in die Hände von Kochbuch-Produzenten.
    Andre

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Haha, tolle Idee! Bliebe nur noch zu klären, wie der Preis für so eine geprüfte Gebrauchsanweisung wohl sein müsste: Anleitung Aufbau Ikea-Küche, Hardcover mit Lesebändchen, 9,90 Euro. Kann man ja mal vorschlagen … ;-)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert