Tafeln in den Karpaten: Vom gemeinsamen Essen

griechisch-katholische Kirche

Griechisch-katholische Kirche in den ukrainischen Karpaten. Foto: Claudia Sabic

Schon seit ein paar Jahren bewichteln sich die bloggenden Mitglieder des Textfrauen-Netzwerks Texttreff um Weihnachten herum gegenseitig mit Gastbeiträgen. Bisher habe ich ‒ mangels Blogs ‒ immer nur neidisch mitgelesen; diesmal bin ich zu meiner Riesenfreude selbst bewichtelt worden: von der Journalistin und PR-Fachfrau Claudia Sabic, die selbst unter Nix wie raus! bloggt und mir eine kulturell-kulinarische Essenserfahrung geschenkt hat. Vielen herzlichen Dank, Claudia!

Beim Blogwichteln des wunderbaren Netzwerks texttreff.de ist mir Sabines anregender Blog zugelost worden. „Essen und Gefühle“ ist ihr Thema, und in meinem Kopf entstand gleich eine Reihe von Ideen. Emotionen beim Essen ‒ die lösen nicht nur Gerichte und Zutaten aus, sondern auch die Tischgesellschaft und die Atmosphäre, in der man isst. Und deshalb blieb mein Gedankenkarussel bei einem Essen in den ukrainischen Karpaten stehen.

Fluch und Segen ukrainischer Gastfreundschaft

Wer schon mal in der Ukraine bei einer Familie zu Gast war, der weiß, dass Gastfreundschaft ein zweischneidiges Schwert ist. Auf der einen Seite wird man herzlich empfangen. Die Gastgeber fahren alles auf, was sie kulinarisch zu bieten haben. Auf der anderen hat man als Gast auch Pflichten: Essen, und zwar alles und reichlich. Es gibt wenige Tricks, wie man auf höfliche Art um die eine oder andere Speise herumkommt. Als Westler kann man eine „Allergie“ vorschützen, denn dafür sind wir berühmt. Wie man allerdings, wenn man satt ist, so „Nein“ sagt, dass es die Gastgeber auch akzeptieren, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Das Essen, von dem ich erzählen möchte, fand in einer Berghütte in den Karpaten in der westlichen Ukraine statt, knappe zwei Flugstunden von der Finanzmetropole Frankfurt am Main.

Der Weg dorthin beginnt in einem kleinen Dorf im Tal und führte gut zwei Stunden aufwärts zu dieser Alm mit Hütte. Die Huzulen – ein ostslawisches Hirtenvolk – siedeln oft in versteckten Bauernhöfen in den Bergen der Karpaten im Grenzgebiet zwischen Polen, der Ukraine, der Slowakei und Rumänien. In „meiner“ Berghütte leben Was (von Vassilij), seine Frau Marija, ihre fünf Söhne sowie Was‘ Mutter. Sie sind gute Freunde meines Freundes Taras, der mir und seinem Freund Myron die Heimat seiner Kindheit zeigen möchte. Was‘ und seine Familie gelten als Ukrainer, sind aber stolz auf ihre huzulischen Wurzeln.

huzulische Tracht an deutscher Journalistin

Huzulische Tracht an deutscher Journalistin. Foto: Claudia Sabic

„Bunt“ ist stark untertrieben, wenn ich ihre Berghütte von innen beschreiben soll. Es gibt eine Diele und drei Zimmer: eine Art „Stube“, also einen großen Wohn-, Koch- und Essraum, und zwei Schlafzimmer. Das Holzhaus gilt als groß. Die Stube beheizt ein großer Kachelofen mit Kochplatten. Es wird auf Feuer gekocht. Auf einem Bett direkt neben Ofen und Herd kann man sich aufwärmen. Nachts dient es als Schlafplatz. Jetzt lärmt in dem Raum ein Fernseher, russische Pop-Videos mit leicht bekleideten Sängerinnen. Außerdem lärmen – für meine Begriffe – die Farben an den Wänden. Denn das Holz ist mit pinkfarbenem, gemustertem Plastik tapeziert. Ferner zieren Ikonen die Wände, eingerahmt von huzulischen Stoffbahnen, eine Art Schal mit Fransen, durchwirkt mit glitzernden Fäden.

Eine huzulische Festtafel in der Diele

Natürlich kann man in der Stube essen. Aber für so viele Leute, Familie plus drei Gäste, wird’s eng. Deshalb bitten Was und Marija uns, an einer Tafel in der Diele Platz zu nehmen. Aufgeregt versammeln sich alle am Tisch. Essen ist ein Gemeinschaftserlebnis, erst Recht, wenn Gäste da sind. Immerhin leben Taras und Myron in L’viv (auf deutsch Lemberg), der westukrainischen Metropole. Und ein Gast aus Deutschland verläuft sich auch nicht oft hierher, obwohl die Alm nicht weit vom errechneten Zentrum Europas liegt. Seit Kroatiens EU-Beitritt muss man da allerdings wohl noch mal nachrechnen.

Ich kann den Gastgebern jedoch gar nicht viel erzählen, denn ich bin damit beschäftigt, Tisch und Speisen mit den Augen abzuchecken. Das sieht auch bunt aus: Schüsseln und Teller sind mit Speck, Pilzen und Rührei gefüllt. „Salo“, der ukrainische Speck, besteht aus mehr Fett als Fleisch. Die Ukrainer verzehren ihn gern zu Wodka. Der Brei, der aus einer Schüssel dampft, erklärt mir Marija, sei „Mamaliha“. Sie kocht diesen Maisbrei mit Wasser und zerlassener Butter. Man isst ihn mit Speck, zerlassener Butter, süßer oder saurer Sahne. Stolz ist Marija auch auf ihre „Holubci“, eine Art kleiner Kohlroulade, die mit Hackfleisch und Reis gefüllt ist. Es ist gar nicht so einfach, die Kohlblätter so zu füllen, dass man sie ästhetisch zusammenrollen kann. „Holubci“ bedeutet übrigens Täubchen. Der Name hat aber nichts mit der Füllung zu tun, die aus Hackfleisch und Reis besteht. Aus einer weiteren Schüssel weht ein strenger Geruch zu mir herüber: Bryndza heißt der Schafskäse der Karpaten, der eine – Entschuldigung ‒ bröselige Konsistenz hat und genauso streng schmeckt, wie er riecht.

Huzulisches Holzhaus

Huzulisches Holzhaus. Foto: Claudia Sabic

Ein Schüssel-Erlebnis

Auf meiner Erkundungstour mit den Augen bin ich beim Gedeck gelandet. Das hatte ich bisher nicht beachtet. Kein Wunder, denn es ist spärlich. Nur Myron und ich, die beiden Fremden, haben je einen Teller. Die Familie und ihr enger Freund Taras haben keinen. Jeder hat außerdem nur einen Löffel, keine Gabel, kein Messer. Es gibt keine Gläser, nur ein Glas mit „Horilka“, dem ukrainischen Wodka. Startzeichen fürs Essen ist ein Trinkspruch – auf das Beisammensein und den Ruhm der Ukraine. Dann geht das Glas reihum und jeder trinkt. Erst danach beginnen alle zu essen. Myron und ich bedienen uns von den verschiedenen Speisen. Die anderen ebenfalls: Sie essen gemeinsam aus den großen Schüsseln. Man nimmt sich das Essen mit kleinen Holzschäufelchen und isst mit den Fingern. Die Löffel waren wohl eher ein Tribut an uns Städter, die mit Fingern nicht mehr ordentlich essen können.

Gemeinsamer kann man eigentlich nicht essen. Ich weiß, dass es auch in Deutschland üblich war, dass sich eine Familie aus einer Schüssel bediente. Vor der Industrialisierung. Schon im Märchen vom Froschkönig wollte die Prinzessin nicht mit dem Frosch von einem Teller essen. Wir sind heute daran gewöhnt, dass jeder isst, was er mag, von seinem eigenen Teller und mit seinem eigenen Besteck. Essen auf huzulische Art zu teilen, das machen wir höchstens mit ganz eng Vertrauten. Manchmal nasche ich mit meiner Tochter Pommes von einem Teller, oder sie teilt sich ihren Lutscher mit ihrer besten Freundin. Allerdings ist die Gemeinschaft auch bei den Huzulen relativ. Denn wir Gäste bekamen einen eigenen Teller. Was‘ Familie öffnete sich dennoch sehr. Die Mitglieder führten kein Schauspiel urbaner, bürgerlicher Esskultur auf, sondern waren einfach sie selbst.

Die Kunst der Gastfreundschaft

Ein Gast ist ein Fremder, den man zeitweise in die eigene Gemeinschaft integriert. Dass ich als Gast einen Teller für mich hatte, empfand ich nicht als Ausschluss, sondern als Höflichkeit und Respekt. Die Abstufung zur Familie war dennoch deutlich.

Zurück an die karpatische Tafel: Hier bin ich Teil des Rituals Essen – und Ritual ist Pflicht, für alle, ohne Abstufung. Und da stehe ich wieder vor meinem „ukrainischen“ Problem: Wie komme ich bloß um den Speck herum???

Hier kann man mehr lesen:

Auf Ukraweb erfährt man viel über Land und Leute der Ukraine. Mehr über die Huzulen erfährt man hier. Tipps für Reisende gibt der Verein Ö.T.E.

 

Ukrainische Holubci
Quelle: 
Zubereitungszeit: 
Garzeit: 
Zeitbedarf gesamt: 
Portionen: 3‒4
 
Zutaten
Für die Hülle:
  • 1 Kohlkopf (Weißkohl)
  • Salz
Für die Füllung:
  • 300 g Reis
  • Salz
  • 3 Lorbeerblätter
  • ein paar schwarze Pfefferkörner (nach Belieben)
  • 2‒3 mittelgroße Zwiebeln
  • 1 große Karotte
  • 2‒3 EL Öl
  • 600 g Hackfleisch (Rind/Schwein gemischt)
  • Pfeffer
Zum Schmoren:
  • 250 ml saure Sahne
  • 100 ml Wasser
  • 5‒6 EL passierte Tomaten (Packung)
  • Salz, Pfeffer
Außerdem:
  • saure Sahne zum Servieren
Anleitung
  1. Strunk und welke Blätter vom Kohl entfernen. In einem großen Topf Salzwasser aufkochen und den Kohlkopf hineinlegen. Sobald die äußeren Blätter weich werden, den Kohlkopf mit einer Gabel festhalten und mit einer anderen Gabel die Blätter ablösen. Dann den Kohlkopf wieder ins Wasser legen und die nächsten Blätter ablösen. So weitermachen, bis alle Blätter abgelöst sind. Die Blätter auf einen Teller legen und trocknen lassen. Die dicken Blattrippen vorsichtig flach schneiden. Vorsicht, es darf kein Loch entstehen!
  2. Für die Füllung den Reis in der doppelten Menge Salzwasser mit Lorbeerblättern und nach Belieben ein paar Pfefferkörnern in ca. 10 Minuten halb gar kochen und in ein Sieb abgießen.
  3. In der Zwischenzeit die Zwiebeln abziehen und fein hacken. Die Karotte putzen und fein reiben.
  4. Das Öl in einer Pfanne erhitzen. Die Zwiebeln und Karotten darin leicht anbraten. Das Hackfleisch dazugeben, mit Salz und Pfeffer würzen und unter Rühren braten, bis es braun und krümelig ist. Das Hackfleisch mit dem abgetropften Reis mischen und mit Salz und Pfeffer abschmecken.
  5. Den Backofen auf 140 °C (Ober-/Unterhitze; Umluft 130 °C) vorheizen.
  6. Jedes Kohlblatt mit ca. 1 Esslöffel von der Reis-Hackfleisch-Mischung füllen. Die Ränder des Blattes links und rechts über die Füllung schlagen und die Rouladen von vorn nach hinten fest aufrollen (sie werden kleiner als unsere Kohlrouladen). Die fertigen Holubci mit der "Naht" nach unten dicht neben- und übereinander in einen großen Schmortopf legen.
  7. Zum Schmoren die saure Sahne mit dem Wasser, passierten Tomaten, Salz, Pfeffer (und weiteren Gewürzen nach Belieben) verrühren und über die Kohlrouladen geben.
  8. Die Holubci im heißen Backofen bei geschlossenem Deckel etwa 75 Minuten schmoren. Die fertigen Holubci mit saurer Sahne servieren.

 

9 Gedanken zu “Tafeln in den Karpaten: Vom gemeinsamen Essen

  1. Chawwa

    Ach, wie lecker klingt das! In Polen gibt es übrigens die auch seeehr leckeren „Golabki“, Kohlrouladen mit ganz verschiedenen Füllungen. Alles Speisen, die erst so richtig schmecken, wenn man sie in großen Mengen zubereitet. Keine Single-Küche also. Und meine afghanischen Erinnerungen sagen mir auch, am besten schmecken einfache Gerichte, farbenfroh (und stolz!) präsentiert und mit vielen Menschen zusammen gegessen. Durch die damals erfahrene Geschlechtertrennung auch beim Essen erlebte ich das vollkommene Gefühl des herzlichen Aufgenommenseins, die Frauen bedienten sich alle von einem riesigen Reisteller, unter dem das Fleisch verborgen war, und holten mit dem eingerollten Nan-Fladen die verschiedenen Gemüsegerichte von den vielen großen Tellern. Ein Schlürfen und Kleckern und unaufhörliches Plappern, das ich zumeist nicht verstand, aber beim Essen konnte ich mitmachen. Da gab es kein Extragedeck für die Fremde – während des Essens gehörte ich dazu. Danke für diesen farbigen Bericht über Essensgemeinschaften mitten in Europa, eine Tradition die uns geographisch so nahe, kulturell aber so weit entfernt ist wie das asiatische Hochland von Afghanistan.

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Danke, Chawwa! Ich bin auch immer wieder fasziniert davon, wie stark Essen als Gemeinschaftsstifter wirkt – über kulturelle und sprachliche Grenzen hinweg. Vielen Dank für Deine Erfahrungen dazu!

  2. Jens

    Liebe Sabine, erst einmal herzlichen Dank, dass Du meinen Blog erwähnt hast. Durch Deine Besucher habe ich hierher gefunden und mich in Deine Rezepte vertieft. Da sind viele Anregungen für mich dabei, herzlichen Dank dafür!
    Aber noch ganz kurz etwas zur Ukraine. Auch in meinem Umfeld hier in der Zentralukraine wird das Essen „löffelfertig“ serviert, man hat aber seinen eigenen Teller und Gläser. Das war zwar auch für mich erst gewöhnungsbedürftig, ich finde das aber mittlerweile äußerst praktisch. Kann man doch so von allem probieren, ohne gleich satt zu sein. Und es empfiehlt sich, langsam zu essen. Dann kommen auch keine Nachfragen, wenn man zu schnell satt ist. Was vielleicht noch erwähnt werden sollte: Anders als in Deutschland, steht das Essen die ganze Zeit auf dem Tisch. So hat man immer eine gute Grundlage, wenn wieder eine Runde Horilka ansteht. :)
    Also dann, ich wünsche Dir viel Glück und Gesundheit im Neuen Jahr, ich freue mich auf neue Rezepte und komme gerne wieder vorbei! Übrigens, auch bei mir gibt es das ein oder andere ukrainische Rezept.

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Hallo Jens, der Dank gebührt Claudia – aber ich freue mich natürlich, dass du hierher gefunden hast! Danke für die spannenden Ergänzungen. Langsam kriege ich ja Lust, mal die Ukraine kennenzulernen!

      1. Jens

        Hallo Sabine,

        na dann danke ich auch der Claudia ganz lieb! Und wenn Du wirklich möchtest, die Ukraine ist immer eine Reise wert. Wie im Blog beschrieben haben wir ja jetzt sogar ein Ferienhaus. Vielleicht kann ich Dich ja mit eigenem Ziegen(Feta-)käse in verschiedenen Variationen ködern? ;) Mit Paprika, getrockneten Tomaten, Kümmel oder Oliven…. ich sag nur „Gaumenfreude pur“ und immer wieder eine Überraschung, da wir noch in der Testphase sind, weitere Vorschläge und Ideen sind also auch herzlich Willkommen.

  3. Claudia Sabic

    Liebe Chawwa, liebe Barbara, liebe Sabine,
    ich freue mich echt über die positive Resonanz zu meinem Beitrag.
    Ich wuensche Euch und allen LeserInnen ein fantastisches 2014 mit vielen
    leckeren Mahlzeiten in angenehmer Gesellschaft!
    Claudia

  4. Claudia Sabic

    Ich kann mich Jens nur anschließen – die Ukraine ist ein wunderbares Reiseland. Kyiv ist
    eine faszinierende Stadt, Lviv (dt. Lemberg) verspricht eine Reise in kuk-Zeiten, die Karpaten sind landschaftlich toll und die Krim ist wunderschön. Den Osten kenne ich leider (noch) nicht.
    Viel Spaß beim Entdecken wünsche ich jedeR, der/die eine Reise in die Ukraine plant!
    LG, Claudia

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