Sonnenstrahlen für den Winter: Das doppelte Aprikosenchutney

Unter allen Sommerfrüchten geben mir Aprikosen am ehesten das Gefühl, ich müsste aufpassen, ihre allzu kurze Saison nicht zu verpassen. Und ich glaube, das liegt an Tante Ina.

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Tante Ina war eine Schulfreundin meiner Großmutter und für mich immer so etwas wie die zweite Oma. Allerdings eine, die ich nicht mit meinen Schwestern teilen musste, denn sie ist meine Patin. Als Kind durfte ich sie und Onkel Günter gelegentlich in den Ferien besuchen. Die beiden, kinderlos, wohnten in einer riesigen Altbauwohnung voller Erbstücke. Zu jeder Gabel, zu jedem Möbelstück und zu jedem Bild an der Wand konnte Tante Ina endlose Geschichten erzählen. Ich hörte ihr staunend zu und kam mir sehr wichtig und erwachsen vor.

Erwachsen auch deswegen, weil Tante Ina und Onkel Günter kein Kinderprogramm für mich veranstalteten. Ich lief in ihrem Alltag mit, durfte vormittags in ihrer winzigen Parfümerie gelegentlich einen Preis in die große Kasse eintippen, las während des Mittagsschlafs der beiden in „Herzblättchens Zeitvertreib“ („Unterhaltung für kleine Knaben und Mädchen zur Herzenbildung und Entwicklung der Begriffe„, ein Kinderjahrbuch aus wilhelminischer Zeit), besichtigte am Wochenende bildungsbürgerlich Wertvolles und „half“ Tante Ina beim Kochen.

Von ihr lernte ich, Pellkartoffeln zu pellen und Zuckerstücke in die Aprikosen zu stecken, die dann zu Marillenknödeln verarbeitet wurden. Marillenknödel hatte Tante Ina in dem einen Jahr kennengelernt, das sie als Haustochter bei einer österreichischen Familie verbracht hatte.

Im Laufe vieler Jahre der Doppelbelastung als Geschäfts- und Hausfrau hatte dieses Rezept eine gewisse pragmatische Entwicklung vollzogen. Jedenfalls benutzte Tante Ina dafür (Kartoffel-)Kloßteig, der als Flocken aus der Packung kam und mit Wasser angerührt wurde. Ich fand das Gericht trotzdem wunderbar: vor allem wegen der Wandlung, die die Aprikosen dabei durchmachten. Eine eher unspannende, oft leicht mehlige Frucht gewann plötzlich Säure und Süße und ausgeprägtes Aroma und schmeckte ganz, ganz groß!

Bis heute klingen mir Tante Inas Worte im Ohr, einmal in der Aprikosensaison müsse man Marillenknödel machen, nämlich dann, wenn es schön reife, kleine Aprikosen gebe. Man müsse aber gut achtgeben, denn die Saison sei nur kurz. Seitdem mache ich fast jedes Jahr einmal Marillenknödel (nein, nicht mehr mit Kloßteig aus der Packung), und wenn ich den Moment verpasse, in dem es kleine, reife Aprikosen gibt, dann ist mir schmerzlich bewusst, dass meine nächste Chance erst wieder im folgenden Jahr kommt.

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Dieses Jahr bin ich zum ersten Mal auf die Idee gekommen, etwas von dem Geschmack der Aprikosen in den Winter hinüberzuretten. Nein, nicht mit eingefrorenen Knödeln. Sondern mit Chutney. Eingemachte Früchte in Pikant ziehen bei mir immer.

Ich habe also losgekocht. Das Rezept hatte ich mir aus mehreren Chutneyrezepten für alle möglichen Früchte zusammengebastelt. Neugierig, wie ich war, konnte ich das Ergebnis natürlich nicht erst ein paar Tage durchziehen lassen, sondern probierte gleich ‒ und fand das Chutney viel zu süß, das Aroma des Ingwers zu dominant und das des Korianders einen seltsamen Fremdkörper im Gesamtgeschmack.

All das wollte ich bei der zweiten Version, ein paar Tage später gekocht, vermeiden. Ich reduzierte den Zucker, ersetzte einen Teil des Essigs durch Zitronensäure, um das Ganze fruchtiger zu gestalten, und verwendete grüne Chili und Peperoni, weil ich mir den herb-grasigen Geschmack gut zu den Aprikosen vorstellen konnte.

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Diesmal ließ ich das Chutney ein bisschen durchziehen und probierte nach etlichen Tagen beide Versionen im Vergleich. Das Ergebnis: Ich konnte mich nicht entscheiden, welche mir besser gefiel. Ich fragte andere, führte Blindtests durch, aber einen richtig klaren Sieger gibt es nicht. Version 1 ist süßer und pikanter – die Schärfe kommt überraschenderweise vor allem durch den Ingwer, der aber jetzt geschmacklich gut eingebunden ist. Dieses Chutney passt bestens zu Käse. Version 2 ist säuerlicher, die grüne Chilinote gefällt mir tatsächlich ausnehmend gut, aber das Gesamtergebnis ist eher fruchtig als würzig. Es schmeckt mir sehr gut zu gegrilltem Fleisch, und ich stelle es mir auch gut als Kontrastpunkt zu indischen Currys vor.

Ich freue mich jedenfalls, im Winter diese Gläser mit Aprikosenaroma zu öffnen. Unten findet ihr beide Rezepte. Und weil ich mit meinen Aprikosenkochereien nicht nur den diesjährigen Sommer einfange, sondern in gewisser Weise auch einen Hauch längst vergangener Kindheitsferientage, fühle ich mich doppelt berechtigt, an Katrin Zinouns Blogparade Den Sommer einfangen auf Mein Balkongarten teilzunehmen!

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Aprikosenchutney (Version 1)
Quelle: 
Zubereitungszeit: 
Garzeit: 
Zeitbedarf gesamt: 
 
Zutaten
  • 800 g reife Aprikosen
  • 1 Stück Ingwer (ca. 40 g)
  • 4 frische rote Peperoni
  • 1 TL Koriandersamen
  • 250 ml Apfelessig
  • 1 TL Salz
  • 1 EL braune Senfkörner
  • 250 g Zucker
Anleitung
  1. Die Aprikosen waschen, halbieren und entsteinen. Den Ingwer schälen und fein würfeln. Den Stielansatz der Peperoni abschneiden, die Schote längs halbieren, die Samen und Scheidewände entfernen, die Schotenhälften waschen und in feine Streifen schneiden. Die Koriandersamen in einer heißen Pfanne ohne Fett anrösten, bis sie duften, und grob mörsern.
  2. Aprikosen, Ingwer, Peperoni und Koriander mit den übrigen Zutaten in einen Topf geben, aufkochen und ca. 45 Min. offen bei kleiner Hitze köcheln lassen, dabei zum Ende hin immer häufiger umrühren, damit nichts ansetzt.
  3. Sobald die Mischung eine marmeladenartige Konsistenz hat, das Chutney in heiß ausgespülte Gläser mit Twist-off-Deckel füllen, verschließen und 10 Min. auf den Kopf stellen. Umdrehen und vollständig abkühlen lassen.
  4. Vor der Verwendung sollte das Chutney ein paar Tage durchziehen.
Anmerkungen
Das hier ist die süßere, gewürzbetontere Variante. Das Rezept ergibt ca. 800 ml Chutney. Es sollte sich in verschlossenen Gläsern mindestens 1 Jahr lang halten.

 

aprikosenchutney2_gewuerze

 

Aprikosenchutney (Version 2)
Quelle: 
Zubereitungszeit: 
Garzeit: 
Zeitbedarf gesamt: 
 
Zutaten
  • 800 g reife Aprikosen
  • 1 Stück Ingwer (ca. 20 g)
  • 4 frische grüne Peperoni
  • 2 frische Jalapeño-Chilis (nach Belieben mehr)
  • 2 Pimentkörner
  • 4 Zitronen
  • ca. 150 ml Apfelessig
  • 1 TL Salz
  • 1 EL braune Senfkörner
  • 150 g Zucker
Anleitung
  1. Die Aprikosen waschen, halbieren und entsteinen. Den Ingwer schälen und fein würfeln. Den Stielansatz der Peperoni und der Chilis abschneiden, die Schoten längs halbieren, die Samen und Scheidewände entfernen, die Schotenhälften waschen und in feine Streifen schneiden. Die Pimentkörner grob mörsern.
  2. Die Zitronen auspressen, den Saft abmessen und mit Apfelessig auf insgesamt 250 ml auffüllen.
  3. Alle Zutaten in einen Topf geben, aufkochen und ca. 45 Min. offen bei kleiner Hitze köcheln lassen, dabei zum Ende hin immer häufiger umrühren, damit nichts ansetzt.
  4. Sobald die Mischung eine marmeladenartige Konsistenz hat, das Chutney in heiß ausgespülte Gläser mit Twist-off-Deckel füllen, verschließen und 10 Min. auf den Kopf stellen. Umdrehen und vollständig abkühlen lassen.
  5. Vor der Verwendung sollte das Chutney ein paar Tage durchziehen.
Anmerkungen
Das hier ist die säuerlichere, fruchtigere Variante. Das Rezept ergibt ca. 800 ml Chutney. Es sollte sich in verschlossenen Gläsern mindestens 1 Jahr lang halten.

 

8 Gedanken zu “Sonnenstrahlen für den Winter: Das doppelte Aprikosenchutney

  1. Chawwa

    Ich habe eine Freundin noch aus Studententagen – eine Zeit, die gefühlte Jahrhunderte zurückliegt – , die ist gebürtige Österreicherin und macht jedes Mal, wenn ich sie besuchen komme, Marillenknödel. Egal zu welcher Jahreszeit. Denn in der kurzen Aprikosensaison friert sie die Früchte ein, schon vorbereitet mit einem eingesteckten Zuckerwürfel. Und dann hüllt sie die aufgetauten Früchte in einen Brandteig, was geschmacklich das Gericht eindeutig als „Mehlspeise“ – auf deutsch Nachtisch – ausweist. Dazu gibt’s ein Topping aus in Butter gerösteten Semmelbröseln mit Zimt. Vorher essen wir eine saisonale Suppe (was die „Nachtisch“-Kategorie absichert). Ich kenne von früher die Version mit Kartoffelteig, ähnlich auch Zwetschgenknödel, und das war dann ein süßes Hauptgericht an Freitagen.
    Liebe Sabine, viel Erfolg bei der Sommer-Blogparade mit den beiden Chutneys!

  2. Sabine Schlimm Artikel Autor

    Och, ich finde gar nicht, dass es Marillenknödel rund ums Jahr geben muss. Dann wären sie ja gar nichts sommerlich Besonderes mehr. Außerdem konkurrieren in meinem Tiefkühler derzeit Bananenblätter, reichlich selbst gekochte Gemüse-, Fisch- und Lammbrühe sowie diverse unidentifizierte Tüten und Tupperdosen um Platz. Da müssen die Aprikosen halt in Gläser wandern. ;-)

  3. multikulinaria

    Eigentlich mag ich die Kombination von Fruchtigem mit Herzhaftem gern. Für Chutneys konnte ich mich aber bisher noch nicht so recht erwärmen. Vielleicht auch, weil ich nie recht weiß, wozu ich sie essen soll.rnDeine Aprikosen-Chutneys klingen aber toll und sehen auch so aus. Vielleicht lass ich mich verführen… :-)

  4. Sabine Schlimm Artikel Autor

    Wie gesagt: zu würzigem Käse schmeckt das süße Chutney toll, und jetzt gerade während der Grillsaison finden Chutneys auch zu Steaks etc. immer Abnehmer (Lammkoteletts waren mit dem säuerlichen großartig). Und ansonsten habe ich letztes Jahr in Indien gelernt, dass die Bengalen die süßen Chutneys quasi als Nachtisch löffelweise essen. Sie finden, es hilft der Verdauung.

  5. Bettina

    Wie ich in aufopferungsvollem Selbstversuch herausgefunden habe, lassen sich mit diesem Chutney ebenso attraktive wie wohlschmeckende Partyhappen zaubern: Pumpernickeltaler mit Frischkäse bestreichen, einen Klecks Aprikosenchutney drauf, dann mit deinm Korianderblatt krönen. Koriander nicht weglassen! Ist wichtig für den Geschmack. Die idee dafür kommt aus dem auch sonst sehr empfehlenswerten „Landschaftskochbuch Ostfriesland“ (Isensee 2013).

  6. Sabine Schlimm Artikel Autor

    Vielen Dank für den Tipp, Bettina! Freut mich, dass das Aprikosenchutney zum guten Einsatz gekommen ist. Nur dass die Ostfriesen es so mit dem Koriander haben, hat mich doch etwas erstaunt. Am Ende ist das auf dem Buchcover gar kein Grünkohl, über den die Hand streicht, sondern eine besonders üppig wuchernde Korianderpflanze?

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